„Eet smakelijk“ – eine kulinarische Zeitreise

| Freunde der Grenzregion

Zutphen und Hattem: Die beiden historischen Hansestädte an der IJssel versprechen jede für sich schon ein echtes Zeitreisegefühl. Dass es dabei so köstlich zugehen könnte, hätten wir nicht erwartet.

Wir überqueren die IJssel: Eine stählerne Brücke mit reichlich Patina führt uns von Westen her auf die Stadt Zutphen zu, die mit ihren knapp 50.000 Einwohnern eine der größeren einstigen Hansestädte ist. Die Fassaden der unzähligen geschichtsträchtigen Gebäude im Zentrum lassen auch bei Nieselregen die sorgfältig erhaltene Pracht vergangener Epochen erkennen. Die drei einstigen Grachten Houtmarkt, Groenmarkt und Zaadmarkt bilden heute wie ein langgezogener Marktplatz das lebendige Herz Zutphens. Hier reihen sich Cafés und Restaurants aneinander, ein paar Jungs spielen selbstvergessen zwischen Passanten und vorbei eilenden Geschäftsleuten Fußball. Über allem erklingt das Glockenspiel des „Wijnhuistoren“, ein Turm, der als Wahrzeichen die Altstadt überragt. Wir sind gefühlt in einem anderen Jahrhundert gelandet.

Ein Haus für alle

Unser erster Stopp führt uns raus aus dem Regen, rein ins Café. Wir landen im „Volkshuis“ mitten in der Stadt. Die Atmosphäre erinnert an ein Wohnzimmer: Gespräche werden quer durch den Raum geführt, alle Altersklassen sind versammelt, und in der Kinderecke wird hochkonzentriert gebastelt.

Zwischen dem geschäftigen Treiben wuselt eine zierliche Frau in einem quietschbunten Rock herum und begrüßt hier und dort die Gäste. Wir haben das Glück sie kennenzulernen: Nelie arbeitet seit 18 Jahren im Volkshuis und erklärt uns, was es damit auf sich hat. Es ist das letzte noch existierende Volkshuis der Niederlande. 1889 vom Bund gegen Alkoholmissbrauch gegründet, war es tatsächlich über Jahrhunderte hinweg ein „Haus des Volkes“. Hier gab es keine Verzehrpflicht – auch wer einfach nur Schutz vor Schlechtwetter suchte, war willkommen. Die Speisen und Getränke im Volkshuis waren bezahlbar, und Alkohol wurde nicht ausgeschenkt. Ein Prinzip, dem das Volkshuis noch heute treu ist: Es gibt keinen Alkohol, der Cappuccino kostet 1,80 Euro und auch dem sozialen Gedanken ist es weiterhin verpflichtet, bietet es doch rund 40 Jugendlichen, die auf dem Arbeitsmarkt nicht leicht vermittelbar sind, einen Job. Wir fühlen uns schnell Zuhause und bestellen den zu Recht gerühmten hausgemachten Apfelkuchen.

Immer der Nase nach

Vor der Touristeninfo am Houtmarkt treffen wir unseren Guide Koert Koops, der uns mit auf unsere Zeitreise durch Zutphen nimmt: Es geht durch verwinkelte Gassen und kleine Hinterhöfe, die sogenannten „hofjes“, an windschiefen Fassaden mit Giebelsteinen und imposanten Sakralbauten wie der Walpurgiskerk vorbei. Dann plötzlich steigt uns ein feiner Duft in die Nase: Wir haben das Kaffee- und Teehaus „De Pelikaan“ erreicht. Seit 200 Jahren werden hier Kaffeebohnen veredelt. Die Tür zum Ladengeschäft, an das auch ein Café angeschlossen ist, quietscht leise, als wir es betreten. Alte Holzschubfächer beherbergen edle Bohnen. Eine nostalgische Kasse ziert den antiken Ladentresen. Das Interieur stammt aus dem Jahr 1905. Heute gibt es im Pelikaan nicht nur Kaffeebohnen, sondern auch Tee zu kaufen. Und der wird mittlerweile bis nach New York geliefert. Wir testen einen Latte Macchiato. Er wird auf einem leicht angelaufenen silbernen Kaffeetablett serviert. Selten war Espresso leckerer und Milchschaum cremiger.

Weiter geht unsere Führung: Wir überqueren das Flüsschen Berkel. Zutphen lässt sich auch mit dem elektrisch betriebenen „Fluisterboot“ erkunden. Koert ist selbst Berkelschiffer und grüßt im Vorbeigehen seine Kollegen.

Wo zum Dessert „das Innere eines Bonbons“ serviert wird

Wir freuen uns auf unser Abendessen im historischen Hampshire Hotel ‘s-Gravenhof. Es gibt Wild – schließlich sind wir in der Achterhoek. Der niederländischen Region, in der Wild nicht nur traditionell von Oktober bis Januar auf den Tisch kommt, sondern auch noch wirklich wild ist und nicht zusätzlich gefüttert oder in eingezäunten Arealen gehalten wird. Mehr Slow Food geht nicht. Nach Taubenbrust und Hirschsteak serviert die Küche zum Dessert „das Innere eines Bonbons“: Süßes aus Cranberries, Schokolade und einem Hauch Pistazie ist unser Betthupferl.

Die kleinste ihrer Art – die Hansestadt Hattem

Am nächsten Morgen machen wir uns auf nach Hattem. Knapp 12.000 Einwohner hat die kleinste der ehemaligen Hansestädte entlang der IJssel: „Hier kannst du dich nicht verlaufen“, erklärt Geraart Libert, der uns durch den mittelalterlich anmutenden Stadtkern führt. Hattem ist seit 1299 im Besitz der Stadtrechte. Seinen Reichtum verdankte das Städtchen dem Backsteinhandel.

Rund um den Kirchplatz formieren sich zahlreiche prachtvolle Gebäude, die von der ruhmreichen Hansevergangenheit zeugen. Sie werden überragt vom Kirchturm der Andreaskirche. Das Gebäude vereint romanische, gotische und Renaissance-Elemente und ist somit eine kleine Zeitreise in sich.

Kräuter ernten mit der Schere

Neben der Kirche befindet sich die „Franse School“, eine ehemalige Schule, deren Innenhof einen kleinen Kräutergarten beherbergt. Geraart: „Jeder Hattemer, der eine Schere besaß, durfte hier selbst Kräuter ernten.“

Weiter geht die Führung – vorbei am „Hoge Huis“, in dem Königin Wilhelmina schon zu Gast war, und durch malerisch verwinkelte Gassen. Wir passieren die Stelle, an der früher die Stadtfestung „Dikke Tinne“ stand, bestaunen das letzte noch existierende Stadttor und kehren kurz im „Banka Hattem“ ein, wo wir einen „Hanselunch“ probieren: Dreierlei Schnittchen und eine Senfsuppe werden serviert – rustikal, herzhaft, lecker.

Hattem ist zwar klein, beherbergt aber mit dem Voerman Museum, dem Anton Pieck Museum und dem Niederländischen Bäckereimuseum gleich drei interessante Kulturstätten. Über den einstigen Stadtwall hinweg machen wir uns auf den Weg zum Anton Pieck Museum, in dem rund 150 Werke des berühmten niederländischen Künstlers ausgestellt sind. Der Illustrator prägte mit seinem nostalgisch-romantischen Stil unter anderem den niederländischen Freizeitpark Efteling. Wir bestaunen die Zeichnungen, Gemälde und Illustrationen. Und fühlen uns ein wenig, als würden wir durch ein großes, fantastisch illustriertes Märchenbuch spazieren – ein guter Abschluss für unsere Zeitreise.

Geheimtipp

Unsichtbar und dennoch ganz zentral: Eines von Hattems wichtigsten Wahrzeichen ist heute leider verschwunden – die dikke Tinne, „das kleinste Schloss der Niederlande mit den dicksten Mauern“, wie unser Stadtführer Geerart berichtet. Noch heute feiert die Stadt beim „Dikke-Tinne-Festival“ alle zwei Jahre ihre wechselhafte Geschichte. Und jagt mit Musik, Tanz und einem Umzug in historischem Gewand den Spukhund „Kladdegat“ durch die engen Gassen. Wir haben das Festival knapp verpasst, aber im September 2018 findet es wieder statt.

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