Arnheim – Im „Notting Hill“ der Niederlande

| Freunde der Grenzregion

In Gelderlands Provinzhauptstadt Arnheim leben gut 150.000 Menschen. Davon ist vermutlich jeder Zweite Künstler, Illustrator oder Modeschöpfer. So zumindest kommt es uns vor, als wir durch das „Modekwartier“ im Stadtteil Klarendal flanieren.

„Dieser Bezirk ist eigentlich ein typisches Arbeiterviertel“, erzählt uns Taschendesignerin Heleen van der Meer. Mit ihr und ihren Hunden Gina und Micky spazieren wir durch die Gassen, an kleinen, einfachen Reihenhäusern vorbei, in denen sich heute Ateliers und Boutiquen befinden, mit bunten Schaufenstern voller Hüte, Taschen, Wohnaccessoires und Kleidern. Zwischendurch grüßt Heleen immer wieder Passanten. Ob Arbeiter, Künstler, oder Klarendaler Urgestein, ob Marokkaner, Türke oder Niederländer: Man kennt sich im Viertel.

​Vor Jahren noch war es als Problembezirk berüchtigt. Kriminalität und Drogen gaben ihm den Spitznamen „Klarendal Tranendal“ (zu Deutsch „Tal der Tränen“). Dazu viele leerstehende Häuser, schmuddelige Coffeeshops – da wollte die Stadt nicht länger zusehen. Seit 2008 warb sie darum Kreative an, sich in Klarendal niederzulassen. Die Idee zum Modekwartier, einer Art „Notting Hill“ der Niederlande, war geboren.

Viele der Designer hatten vorher an der Arnheimer Kunsthochschule „ArtEZ“ studiert. Auch Heleen. Nach einer Zusatzausbildung in Lederverarbeitung fertigt sie heute Hand- und Reisetaschen, Rucksäcke, Portemonnaies und alles dazwischen. Ihre Modelle sind farbenfroh und funktional, retro und gleichzeitig originell.

Skizzenbuch auf dem Nachttisch

Ein paar Meter weiter erwartet uns Irving Vorster in seinem Studio IRVINX. Er entwirft elegante Damenmode nach dem Prinzip „Slow Fashion“. Nachhaltige und zeitlose Roben, an denen der Designer lange und detailverliebt arbeitet. Inspiriert von Architektur und organischen Formen entstehen dabei asymmetrische Kleider, die die Blicke auf sich ziehen. „Viele Ideen fallen mir nachts, vor dem Schlafengehen ein. Darum liegt auch immer ein Skizzenbuch auf meinem Nachttisch“, sagt Irving. Sowieso rät er allen, stets ein Notizbüchlein bei sich zu tragen. Denn Ideen kämen überall, nur nicht bei der Arbeit. „Und häufig sind die verrücktesten Ideen später die besten.“

Kreativität braucht also Muße. Und kann manchmal auch durch ein gutes Glas Wein beflügelt werden. Davon überzeugt ist Ivo van Nispen tot Pannerden. Er begrüßt uns im Weinhaus Robbers & Van den Hoogen, einem der größten und geschichtsträchtigsten Weinkontore der Niederlande. Im historischen Weinkeller, zwischen großen Fässern und Regalen voller Flaschen, führt der Vinologe in die Welt des edlen Tropfens ein. „Als Weinhändler wirst du nicht unbedingt reich – aber du hast auf jeden Fall ein reiches Leben“, erklärt er. „Ein Leben voller Genuss und guter Gespräche.“ Dass Wein außerdem als Inspirationsquelle für Design dienen kann, beweisen die Kunstwerke, die zum Jubiläum des hauseigenen Weinmuseums von Studenten der ArtEZ entworfen wurden. Da sind Weinfässer, die zum Sessel umfunktioniert wurden, oder den Blick des Betrachters mit ungewöhnlicher Knitteroptik herausfordern. Darauf trinken wir erst mal ein Gläschen.

Ein Hotel als Gesamtkunstwerk

Zwei Gläser Weißwein und drei Gläser Rotwein weiter suchen wir mit glühenden Wangen unser Nachtdomizil auf: Das Hotel Modez, im Herzen des Modekwartiers. Auf Initiative des bekannten niederländischen Designers Piet Paris gestalteten holländische Modeschöpfer und Kreative 20 besondere Themenzimmer. Wir übernachten im Zimmer von Sjaak Hullekes: Ein Loft, in dem alte Koffer zu Schubladen oder Kommoden umfunktioniert wurden, und Reisesouvenirs auf Konsolen an der Wand hängen.

Moderne Architektur und alte Römer

Für einen weiteren architektonischen Blickfang verlassen wir am nächsten Morgen Arnheim – und fahren weiter nach Nimwegen, der anderen Kreativmetropole im anderen Holland: Am Rande des historischen Valkhofparks, in dem sich einst ein römisches Lager befand und Karl der Große eine Burg bauen ließ, steht heute ein gläserner Kasten, der von den Nimwegern liebevoll „Schwimmbad“ genannt wird. Das Museum Het Valkhof, entworfen vom international bekannten Architekt Ben van Berkel, schimmert je nach Sonneneinstrahlung in verschiedenen Blau- und Grüntönen. Im lichtdurchfluteten Innern präsentiert es archäologisch brisante Funde und erweckt in interaktiven Sonderausstellungen das römische Zeitalter zum Leben. Wir besuchen die aktuelle Ausstellung „Gladiatoren – Helden des Kollosseums“ und finden uns zwischen Anfeuerungsrufen und aufpeitschender Musik in einem Amphitheater wieder. Wir lernen, dass die Gladiatoren wie Topsportler trainierten und probieren schließlich selbst eine Gladiatorenausrüstung an. Oje. Ein paar Modetipps von Heleen und Irving hätten die Römer gut gebrauchen können.

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Kreative Küche

Klar, dass auch die Küche in den vielen Cafés und Restaurants im Arnheimer Modekwartier ziemlich kreativ ist. Hier drei Tipps für eine Shoppingpause:

  • Salatbar Slaatje Bla, Klarendalseweg 34: Das neue Restaurant von TV-Köchin Estée Stroker bietet reichhaltige Salate und Suppen, meist aus biologischen, regionalen und saisonalen Zutaten. Dass Estée ihr kulinarisches Handwerk in Paris gelernt hat, merkt man an der Dessertkarte: raffinierte Eclairs und Macarons aus eigener Herstellung.
  • Restaurant Wereldkeuken, Klarendalseweg 477-1: In der „Weltküche“ trifft japanisches Sushi auf afrikanischen Eintopf, exotische Livemusik auf Kunstausstellung. Wereldkeuken verfolgt ein besonderes Konzept: hier arbeiten Menschen mit Abstand zum normalen Arbeitsmarkt. Sie finden über die Arbeit hinaus Unterstützung für ihre persönliche Entwicklung. Der Innenhof mit Gemeinschaftsgarten ist beliebter Treffpunkt des Viertels.
  • Restaurant Caspar, Elly Lamakerplantsoen 2: In der lockeren Atmosphäre eines Wohnzimmers wird gequatscht, gelesen, gearbeitet – und genossen. Caspar ist bekannt für seine großen Tassen Kaffee und Cappuccino sowie hausgemachte Gerichte. Bei gutem Wetter wird der Platz vor dem Restaurant mit bunten Tischen und Stühlen besiedelt

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